Alternativlos der Wahrheit verpflichtet waren die Teilnehmenden beim #SCDay19, bei dem es um Fragen ging wie: Wie kann (Nachrichten-) Journalismus sich gegen „alternative facts“ und gegen Vorwürfe verteidigen, ein „Feind des Volkes“ zu sein? Wie kann Wahrheit so recherchiert und aufbereitet werden, dass sie als Bollwerk gegen Hetze, Hass und Verschwörungstheorien taugt? Wie funktioniert Medienkritik, in der Medien andere Medien auf ihre Qualität und Standards überprüfen? Welche Rolle spielen Faktenchecks, aber auch Faktoren wie Diversität bereits in den Redaktionen, um Wirklichkeit wahrhaftig abzubilden? Auch in diesem Jahr, dem 10. Geburtstag der Veranstaltung, war der Grimme Online Award des Grimme-Instituts Kooperationspartner des #SCDay19; unter den Referentinnen und Referenten der Panels und Sessions waren mehrere aktuelle Preisträger(innen) und Nominierte des #GOA19.
Eröffnung
Eröffnet wurde die Veranstaltung im Kölner KOMED von der Direktorin des Grimme-Instituts, Dr. Frauke Gerlach. In ihrer Begrüßung sagte sie: „Das Internet ist ein Kommunikationsraum, der so großartig ist wie die Menschen, die ihn gestalten.“ Das Netz sei ein Raum, der Demokratien verstärken oder eben auch herausfordern könne. „Er kann – ebenso – zersetzend und spaltend wirken.“ Vor diesem Hintergrund stelle sich die Frage nach der Verantwortung von Medienschaffenden für den öffentlichen Raum, aber auch danach, was jeder einzelne beitragen könne.
André Spang von der Staatskanzlei NRW begann in seinem Grußwort mit einem Spiel: Die Gäste des Social Community Day sollten den Wahrheitsgehalt von fünf Aussagen und Zitaten bestimmen – und schlugen sich gar nicht schlecht. Ausgehend von der Definition von Wahrheit gab er anschließend eine kleine Einführung in das Thema und schloss: „Das Entscheidende ist die Community, wir werden letztlich alle Sender durch unsere Aktivitäten im Netz, das ist unsere Chance, wir müssen zusammenstehen. Aber dafür brauchen wir Kompetenz, das Selbstbewusstsein, zur Wahrheit zu stehen, und eine Frustrationstoleranz, aber auch ein Bewusstsein, dass wir Verantwortung tragen.“
In den beiden Panels des #SCDay19 diskutierten Journalist(inn)en, Blogger, Podcasterinnen, YouTuber, Faktencheckerinnen, Personen aus der journalistischen Ausbildung und solche, die sich grundsätzlich über die Verbesserung journalistischer Angebote und ihrer Rezeption Gedanken machen – über „Werte & Prinzipien“ sowie über „Methoden & Formate“. Moderiert wurden beide Panels von Daniel Fiene, der, neben seiner journalistischen und redaktionellen Arbeit, selbst Jurymitglied des Grimme Online Award ist.
Panel I
Im ersten Panel diskutierten Paul Schulte vom YouTube-Kanal Ultralativ, der in diesem Jahr zu den #GOA19-Preisträgern zählte, die stellvertretende Leiterin des ARD-Morgenmagazins, Charlotte Gnändiger, Leonhard Ottinger von der RTL-Journalistenschule, die Journalistin und Podcasterin Minh Thu Tran (#GOA-nominiert mit „Rice & Shine“), der Journalist und Auslandskorrespondent Thomas Franke (Welterporter.net) und die CORRECTIV-Faktencheckerin Cristina Helberg. „Die Wahrheit war immer gefährdet“, sagte Thomas Franke zu Beginn des Panels, in Anbetracht der neuen Medien stelle sich die Frage aber neu und anders: „Deshalb ist die Unterscheidung zwischen Journalismus und Propaganda so wichtig“, sagte er weiter, während Charlotte Gnändiger differenzierte: „Ich tue mich schwer mit dem Begriff ‚Wahrheit‘, ich würde eher sagen: Die Fakten sind in Gefahr." Für Cristina Helberg ging es vor allem „um die Interpretation von Fakten, daher ist die Medienkompetenz der Individuen so wichtig“. Und YouTuber Paul Schulte bestätigte: „Durch soziale Medien gibt es ein neues Spielfeld, falsche Fakten zu verbreiten.“ Daniel Fiene fasste zum Umgang mit Wahrheit zusammen: „Wir müssen den Beziehungsstatus also auf ‚kompliziert‘ setzen.“
Neben Recherchefragen ging es beim ersten Panel auch um das Thema Diversität, immer noch eine Herausforderung in der journalistischen Ausbildung und bei der Zusammensetzung von Redaktionen, wie Leonhard Ottinger und Minh Thu Tran verdeutlichten. Die Journalistin und Podcasterin stellte für ihre redaktionelle Arbeit fest: „Bestimmte Themen kommen gar nicht erst auf die Agenda – es fehlen Perspektiven, wenn sie nicht in der Redaktion abgebildet sind.“ Zur Diversität bei den Schülerinnen und Schülern der RTL-Journalistenschule sagte Leonhard Ottinger: „Vom Migrationshintergrund ist die Zusammensetzung schon ganz gut. Aber auch wir bewegen uns vor einem akademischen, großstädtischen Hintergrund. Die soziokulturelle Vielfalt, die auch Deutschland ausmacht, die haben wir noch nicht erreicht.“ Neue Medienbildungsangebote sollen an dieser Stelle helfen – von Journalist(inn)en in und für Schulen. Dazu Thomas Franke, der selbst im Rahmen eines Zeitungsprojektes in Schulen geht: „Das Thema Medienkompetenzvermittlung besprechen wir seit den 80er Jahren, aber da sind wir leider noch nicht viel weitergekommen.“
Panel II
Mit Dennis Leiffels vom YouTube-Kanal „Y-Kollektiv“, Cordt Schnibben, einem der Gründer und Leiter der „Reporterfabrik“, Sabrina Ebitsch und Martina Schories von der SZ-Datenredaktion, Johannes Filous vom Twitter-Kanal „Straßengezwitscher“ sowie dem „Volksverpetzer“ Thomas Laschyk ging es im zweiten Panel um Informationsaufbereitung, deren Vermittlung im „Storytelling“, aber immer wieder auch um das Thema Medienkompetenz: „Am Ende geht es darum, uns alle zu befähigen, selbst Chefredakteur unseres Lebens zu werden“, orientiert am Leitbild einer „redaktionellen Gesellschaft“, so Cordt Schnibben, das Wissen aus der vierten Gewalt solle transportiert werden in die fünfte: die der Bürger(innen), die immer häufiger bloggen, also selbst Inhalte für das Netz produzieren. Dass YouTube auch ein Kanal für klassische journalistische Inhalte sein kann, verdeutlichte Dennis Leiffels, sagte aber auch über das Format für und von einer jüngeren Generation: „Wir berichten über Themen anders und wir haben einen anderen Blick. Wir sind teilnehmende Beobachter, wir sind transparent und sagen, wie wir auf das Thema blicken. Wir sind ehrlich und wir probieren so echt wie möglich zu sein. Und wenn wir einen Bock schießen, stellen wir uns der Diskussion.“
Zu seinen Methoden beim „Volksverpetzer“ befragt, der Propaganda als solche entlarvt, erklärte Thomas Laschyk: „Wir haben uns gefragt: Wie können wir die gleichen aufmerksamkeitsheischenden Methoden anwenden, nur ohne Lügen?“ Für Johannes Filous, der mit dem Twitter-Account „Straßengezwitscher“ über rechte Demonstrationen aufklärt, ist auch Hartnäckigkeit wichtig: „Wir haben uns entschieden, immer hinzugehen, immer dranzubleiben, auch wenn es für andere nicht interessant ist.“ Zur konstruktiven Rolle von Datenvisualisierung in der Aufklärung sagte Sabrina Ebitsch von der Süddeutschen Zeitung: „Wir möchten möglichst viele Leute erreichen – wir wollen gut erklären und gut darstellen. Wir diskutieren zum Beispiel darüber, ob wir einem Leser eine komplexere Grafik zumuten können.“ In ihrer Arbeit ist auch der Input der Adressaten erwünscht: „Die Auseinandersetzung mit dem Leser ist oft anstrengend und schwierig, aber wir haben auch kluge Leser, die wir durchaus als Korrektiv nutzen“, sagte sie.
Workshops
Anknüpfend an die Panels fanden im Anschluss drei Workshops statt: Session eins war „Datenjournalismus“ mit den Panelteilnehmerinnen von der SZ-Datenredaktion; Alina Schulz von Y-Kollektiv stellte ihre Arbeit in Session zwei „Vom Konzept zur Produktion“ vor; und bei Judith Kirberger von der Grimme-Akademie diskutierten die Teilnehmenden in Session drei Maßnahmen gegen „Hatespeech und Fake News“.
Eine ausführliche Dokumentation der verschiedenen Programmpunkte wurde auf der Website veröffentlicht.
Weitere Informationen
- Website: www.social-community-day.de
- Facebook: www.facebook.com/socialcommunityday
- Twitter: twitter.com/grimme_institut
- Instagram: instagram.com/grimme_institut
Der Social Community Day wird unterstützt durch die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen. Bereits zum vierten Mal findet die Veranstaltung in Partnerschaft mit dem Grimme Online Award statt.