Kann uns Adolf Grimmes Denken heute noch als Inspirationsquelle dienen – oder sollte man besser von einer Mahnung sprechen? Mit Sicherheit, wies er doch bereits in seiner Antrittsrede als Generaldirektor des Nordwestdeutschen Rundfunks (NWDR) darauf hin (1948): Die Rundfunkteilnehmerinnen und - teilnehmer können „erwarten, daß der Rundfunk den Willen zur Qualität besitzt […] Der Rundfunk darf deshalb, wenn er dieser seiner Sendung als Erzieher zum Qualitätsgefühl treu bleiben will, nicht der verführerischen Jagd nach Popularität verfallen.“
Was für uns heute klingt, wie der Aufruf zur Programmgestaltung jenseits der Quote, fußt in einem Verständnis des Rundfunks als Instrument einer politischen Kultur, welches die Grundprinzipien des demokratischen Zusammenlebens vermittelt, ohne selbst Machtinstrument der politischen Parteien oder sonstiger „parteipolitischer Gebilde“ zu sein. So stand für den innovativen Bildungspolitiker Grimme, der durch seine Herkunft aus einfachen Verhältnissen, seine tief religiöse Mutter, den Ersten Weltkrieg, Nationalsozialismus, der Verfolgung, Haft und den Zweiten Weltkrieg geprägt war, vor allem der Bildungsauftrag des Rundfunks im Vordergrund, aus dem sich auch der Qualitätsanspruch ableitete. Dieser prägt den Grimme-Preis und die Ausgestaltung seiner Statuten bis heute, der 2014 zum 50. Mal in Marl verliehen wurde. Adolf Grimme fungierte auch als Namensgeber des heutigen Grimme-Instituts, welches 1973 ins Leben gerufen wurde. Sein Ziel: Modelle für die Zusammenarbeit zwischen Volkshochschulen und Fernsehen entwickeln und Veranstaltungen zur Qualifizierung der Erwachsenenbildung im Umgang mit Medien organisieren und den jährlich ausgelobten Fernsehpreis veranstalten. Heute zählt es zum kleinen Kreis renommierter Forschungs- und Dienstleistungseinrichtungen in Europa, die sich mit Fragen der Medienkultur und –Kompetenz befassen und unermüdlich die Frage nach der Qualität stellen - längst auch über den Fernsehbereich hinaus.
Auch wenn sich die Medienlandschaft radikal geändert hat und sich der Grimme-Preis und das Grimme-Institut weiterentwickeln, stehen die Preise und das Institut in seiner Tradition: unabhängig, werte- und qualitätsorientiert. Gerade in der unübersichtlichen, entgrenzten Welt der digitalen Medien ist das Identifizieren und Hervorheben von Qualität sowie gesellschaftlicher Relevanz wichtiger denn je.
Aber zurück zum Namengeber, über den wir als privaten Menschen wenig wissen. Die Quellen über seinen Werdegang zeichnen ein arbeitsreiches Leben, das von seinen christlich-sozialen Überzeugungen geleitet wurde.
Am 31. Dezember 1889 kam Adolf Grimme in Goslar, im Harz, auf die Welt. Sein bewegtes berufliches und politisches Leben begann er als Lehrer. Schon in jungen Jahren profilierte er sich als entschiedener Reformpädagoge; politisiert wurde er nicht zuletzt durch den Ersten Weltkrieg.
So erfolgte nach einer engagierten Rede 1918 die Wahl Adolf Grimmes in den örtlichen Arbeiter- und Soldatenrat in Leer und er wurde Mitglied der Deutschen Demokratische Partei (DDP), der er bis 1920 angehörte. Im Jahr 1922 trat er in die SPD ein und war Mitglied im „Bund religiöser Sozialisten“. In der Weimarer Republik machte er zunächst Karriere in der Schulverwaltung, dann im Preußischen Kulturministerium und avancierte schließlich zum Preußischen Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung (von 1930 bis 1932). Als sozialdemokratischer Minister kämpfte er gegen den Aufstieg der NSDAP und am 20.07.1932 von der neuen Reichsregierung im Rahmen des sogenannten „Preußenschlags“ schließlich entlassen.
Daraufhin zog sich Adolf Grimme ins Privatleben zurück und hegte Fluchtpläne, die er letztlich nicht realisierte. Im Jahr 1942 wurden Grimme und seine erste Frau Mascha inhaftiert - Mascha Grimme in das Frauengefängnis am Alexanderplatz, Adolf Grimme in das Gestapo-Gebäude in der Prinz-Albrecht-Straße. Beiden wurde die Unterstützung der kommunistischen „Roten Kapelle“ vorgeworfen, und sie mussten mit ihrer Hinrichtung wegen Hochverrats rechnen. Denn die meisten Prozesse, die im Zusammenhang mit der „Roten Kapelle“ standen, endeten mit Todesurteilen. Mascha Grimme erhielt jedoch im März 1943 einen Freispruch, während Adolf Grimme zu einer Zuchthausstrafe von drei Jahren verurteilt wurde, weil er nach Auffassung des Gerichtes das Vorhaben zum Hochverrat nicht angezeigt habe.
Schon drei Monate nach seiner Befreiung, am 01.08.1945, avancierte Adolf Grimme zum kommissarischer Regierungsdirektor der Provinz Hannover und von 1946 bis 1948 zum Kultusminister des Landes Niedersachen. In dieser Funktion wurde er auch in den siebenköpfigen Verwaltungsrat des Nordwestdeutschen Rundfunks (NWDR) berufen, der zusammen mit dem Hauptausschuss die erste öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt leiten sollte.
Nach der kurzen Zeit als Kultusminister folgte die letzte berufliche Station von Adolf Grimme: Er wurde 1948 Generaldirektor des NWDR, dessen Sendegebiet sich auf Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Berlin erstreckte. Seine schwierige Aufgabe bestand darin, eine Verwaltungsstruktur aufzubauen; er selbst verfolgte das Ziel der Einheit und Staatsferne des Senders. Für das Radio- und Fernsehprogramm war Grimme nicht verantwortlich, sondern die Intendanten der einzelnen Funkhäuser. Mit seiner Antrittsrede als Generaldirektor zeigt Grimme indes eine deutliche Haltung zu den Aufgaben des Rundfunks. Diese Grundgedanken stehen in Verbindung mit den Motiven und Grundwerten, die Anfang der 60er-Jahre dazu führten, dass der Deutsche Volkshochschulverband ein Fernsehpreis stiftete, der zum renommiertesten Fernsehpreis der Bundesrepublik wurde.
Am 16. Februar 1955 erfolgte die Auflösung des NWDR auf staatsvertraglicher Grundlage, der NDR und der WDR im Anschluss gegründet. Adolf Grimme legte sein Amt als Generaldirektor am 01.04.1956 nieder und lebte danach zurückgezogen mit seiner zweiten Frau in Degerndorf am Inn, wo er am 27.08.1963 starb.
Kai Burkhardt (2007): Adolf Grimme - Eine Biografie, Böhlau Verlag, Köln, Weimar, Wien
Hans-Ulrich Wagner (2014): Adolf Grimme - Kulturpolitiker und Generaldirektor des NWDR