Die Bedeutung des Dokumentarischen

Grimme trifft die Branche: „Es gibt schon absurde Sendeplätze“

Grimme trifft die Branche ...
Grimme trifft die Branche in Berlin. Foto: Marc Ciabattoni / Grimme-Institut

"Ach süß, du machst noch Dokumentarfilm", hört Regina Schilling oft. Für Buch und Regie von "Die geschlossene Gesellschaft – der Missbrauch an der Odenwaldschule" hat sie 2012 den Grimme-Preis bekommen. Sehr gut verdient sie bis heute nicht: "Aber wir hegen und pflegen das und sind stolz darauf", sagte sie bei der Veranstaltung "Grimme trifft die Branche" zum Thema "Die Bedeutung des Dokumentarischen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen", denn es gehe schließlich um Anerkennung und Respekt.

Ob dokumentarischen Formaten – insbesondere langen Dokumentarfilmen wie „Die geschlossene Gesellschaft“ - bei aller gesellschaftlichen und sozialpolitischen Bedeutung diese Anerkennung und Wertschätzung entgegengebracht wird, diskutierten am 6. Dezember die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des hochkarätig besetzten Podiums auf Einladung des Grimme-Instituts in der Deutschen Kinemathek Berlin. "Nein", lautete die unverblümte Antwort der Macherinnen und Macher: "Zu wenige und zu späte Sendeplätze und eine unzureichende finanzielle Ausstattung", monierte etwa David Bernet, Mitunterzeichner der "Stuttgarter Erklärung", die im Juni 2017 gemeinsam von allen Nominierten des Deutschen Dokumentarfilmpreises verfasst worden war.

In Berlin stellten sich jetzt die ARD-Vorsitzende Karola Wille, der ARD-Chefredakteur Rainald Becker und der beim ZDF für Doku-Formate zuständige Hauptabteilungsleiter Peter Arens der Diskussion. Außerdem - neben Schilling und Bernet - auf dem Podium: die Grimme-Direktorin Frauke Gerlach und der Journalist Fritz Wolf, langjähriges Mitglied der Grimme-Jury "Information & Kultur".

Zu Beginn der Diskussion betonte Frauke Gerlach die Bedeutung, die dieses Format für den Grimme-Preis hat: "Ohne den langen Dokumentarfilm würde es den Grimme-Preis vermutlich nicht geben, denn der erste Preis wurde an einen Dokumentarfilm vergeben. In keiner Kategorie gibt es so viele Einreichungen wie in der ‚Information & Kultur‘."

"Es beschäftigt mich natürlich, wenn Sie sagen, dass Sie nicht die nötige Anerkennung und den nötigen Respekt bekommen", reagierte Wille auf Regina Schilling: "Für die ARD gehört der lange Dokumentarfilm heute und in Zukunft klar in unser Programm." "Die zwölf festen Plätze werden weiterhin da sein", so Rainald Becker. Mehr Sendeplätze mochte der ARD-Chefredakteur allerdings nicht versprechen: Zu den zwölf Regelplätzen kämen pro Jahr im Durchschnitt noch einmal zwei bis vier weitere Termine und verwies darauf, dass es im ZDF seit langem gar keinen Sendeplatz für lange Dokumentarfilme mit Ausnahme der Debuts beim "Kleinen Fernsehspiel" gäbe. "Im Jahr 2017 hatten wir 62 Neuproduktionen in der ARD und bei unseren Partnern, da stehen wir alleine da – und an der Spitze", so Becker.

Auch die meist späten Sendeplätze hätten sich bewährt: Man tue einem Dokumentarfilm nicht unbedingt einen Gefallen, wenn man ihn um 20:15 Uhr in den Wettbewerb um die Gunst des Publikums schicke, erklärten Becker und Arens unisono. Für Grimme-Juror Fritz Wolf konnte die Antwort auf die Forderung der Dokumentarfilmer, "Je früher desto besser", aber nicht "je später desto besser" lauten: "Teilweise gibt es schon absurde Sendeplätze, wie sonntagabends um 0:15 Uhr." Zudem würden selbst topaktuelle Dokumentarfilme nicht in dem Maße und zu den Zeiten im Ersten programmiert, wie es möglich wäre: "Fehlt es in den Sendern an Kompetenz oder am Willen, Filme auf ihre Primetime-Tauglichkeit zu prüfen?", fragte Wolf – was Becker umgehend zurückwies: "Die Kompetenz ist da und spürbar, aber es ist immer eine Frage, wie das Thema passt. Wir müssen stets gucken, welches Publikum wir zu welcher Uhrzeit mit welchem Thema erreichen." Wenn man Programmverantwortung habe, werde man nie gerecht verteilen können, so Becker.

Für Karola Wille bleibt die sogenannte zweite Prime-Time nach 22 Uhr "der feste Platz des Dokumentarfilms: Struktur und Verlässlichkeit spielten im linearen Fernsehen eine große Rolle." Man solle die Filme aber besser bewerben und stark machen, so dass Menschen sich auch zu solchen Zeiten die Ruhe nehmen und dokumentarische Produktionen entdecken, so Wille und weiter: "Wir müssen aber experimentierfreudiger und verlässlicher sein" – und dazu gehöre für sie durchaus die Frage nach mehr und früheren Sendeplätzen. Wille weiter: „Wir müssen die Produktionen im Netz ins Schaufenster stellen.“ Dies könne auch dazu dienen, "den Dokumentarfilm als Kulturgut zu archivieren", betonte Frauke Gerlach: "Das öffentlich-rechtliche Fernsehen hat eine Integrationsfunktion. Qualitätsproduktionen, die den Rundfunkbeitrag rechtfertigten, müssten gerade im Bereich Dokumentation in die Tiefe gehen."

Zu Budgetfragen verwies Wille auf die seit 2016 geltende Selbstverpflichtung der ARD zu "Kalkulationsrealismus" und fairen Vertragsbedingungen, die selbstverständlich auch im Bereich Dokumentation und Dokumentarfilm gelten – allerdings noch nicht im Bereich der Koproduktion, was besonders beim langen Dokumentarfilm zu Problemen führt. "Wir haben zudem gerade auf unserer zweiten Programmwerkstatt mit Dokfilmern über aktuelle Herausforderungen diskutiert", sagte sie. Auch bei der Frage der längeren Verweildauern von Dokus in den Mediatheken der ARD sei man konstruktiv miteinander im Gespräch.

Ebenfalls ein "heißes Eisen" waren die sogenannten Kinosperrfristen, die dazu führen, dass viele lange Dokumentarfilme erst rund ein Jahr nach ihrer Auswertung im Kino überhaupt im TV gezeigt werden dürfen. Hierbei verwies in der Diskussion aus dem Publikum Thomas Kufus von "Zero One Film" auf eine Forderung der Deutschen Filmakademie, neue Verwertungsmodelle zu schaffen, mit denen sich aktuellen Themen und Stoffe flexibler handhaben lassen.

Zum Schluss der Diskussion formulierte AG DOK-Vorstand Thomas Frickel noch einmal eine Forderung der Dokumentarfilmer: "Die ARD kann es sich leisten, einen langen Dokumentarfilm pro Woche zu senden. Sie könnte sich damit auch einen Tag lang vom Rennen nach Marktanteilen verabschieden."

 
Grimme trifft die Branche in Berlin.
Grimme trifft die Branche in Berlin. Foto: Marc Ciabattoni / Grimme-Institut
Grimme trifft die Branche in Berlin.
Grimme trifft die Branche in Berlin. Foto: Marc Ciabattoni / Grimme-Institut
Grimme trifft die Branche in Berlin.
Grimme trifft die Branche in Berlin: v.l.n.r.: Klaudia Wick (Deutsche Kinemathek), David Bernet (Filmemacher), Rainald Becker (ARD-Chefredakteur). Foto: Marc Ciabattoni / Grimme-Institut
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Grimme trifft die Branche in Berlin: ARD-Vorsitzende Karola Wille. Foto: Marc Ciabattoni / Grimme-Institut
Grimme trifft die Branche in Berlin.
Grimme trifft die Branche in Berlin. Foto: Marc Ciabattoni / Grimme-Institut
Grimme trifft die Branche in Berlin.
Grimme trifft die Branche in Berlin: v.l.n.r.: Peter Arens (ZDF), Frauke Gerlach (Grimme-Institut), Regina Schilling (Filmemacherin). Foto: Marc Ciabattoni / Grimme-Institut
Grimme trifft die Branche in Berlin.
Grimme trifft die Branche in Berlin. Foto: Marc Ciabattoni / Grimme-Institut
Grimme trifft die Branche in Berlin.
Grimme trifft die Branche in Berlin: v.l.n.r.: Frauke Gerlach (Grimme-Institut), Regina Schilling (Filmemacherin), Fritz Wolf (Journalist und Grimme-Preis-Juror). Foto: Marc Ciabattoni / Grimme-Institut
Grimme trifft die Branche in Berlin.
Grimme trifft die Branche in Berlin. Foto: Marc Ciabattoni / Grimme-Institut
Grimme trifft die Branche in Berlin.
Grimme trifft die Branche in Berlin. Foto: Marc Ciabattoni / Grimme-Institut