„Kann man auch im Internet zuhause sein?“, fragte Nathanael Liminski, Staatssekretär und Chef der Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen, in seiner Rede zur Eröffnung des neunten Social Community Day im Kölner KOMED. „Dafür spricht einiges: Es ist ein Ort, an dem man viel Zeit verbringt, zusammen mit anderen.“
Der #SCDay18 setzte sich am 26. November 2018 mit dem vielschichtigen Begriff der „Heimat“ auseinander. Unterstützung holte sich das Team beim Grimme Online Award: Durch die erneute Kooperation konnten viele Nominierte und Preisträger auf die Bühne geholt werden, die sich in zwei lebhaften Diskussionen mit „Wissen über Heimat“ oder „Heimatleben im Netz“ befassten.
„Neben hervorragenden Beiträgen für den Qualitätsdiskurs des Grimme-Instituts liefert uns der Grimme Online Award Jahr für Jahr auch verlässliche Hinweise darauf, was aktuell gesellschaftlich diskutiert wird“, sagte die Direktorin des Grimme-Instituts, Dr. Frauke Gerlach, in ihrer Begrüßung. „Der Begriff Heimat wird viel zu oft politisch vereinnahmend und eindimensional besetzt. Wir widmen uns heute dem Reichtum von Heimatbegriffen und weiten den Blick auf unterschiedliche Perspektiven und Realitäten.“
Und genau diese unterschiedlichen Perspektiven und Realitäten wurden den mehr als 120 Teilnehmer(inne)n der Veranstaltung geliefert. Ihnen wurden Projekte und Initiativen vorgestellt, deren methodische und inhaltliche Ansätze die Vielfalt von Heimatbegriffen widerspiegelten: etwa Heimat bei Instagram bei den „Mädelsabenden“ oder als VR-Realität der „Weltenweber“ im Wuppertal der Fünfziger und Sechziger Jahre; Heimat, die verlassen wurde und nun woanders neu aufgebaut wird, wobei zum Beispiel WDRforyou hilft; die Heimat der anderen, gesehen mit den Augen des „Fremden“ beim Projekt „Crowdspondent“ oder aus dem Blickwinkel des Auslandskorrespondenten Thomas Franke; sowie die Heimat der vielen, wie sie etwa im Podcast der „Halben Katoffln“ vorgestellt wird.
„Wissen über Heimat?“
Im ersten Panel „Wissen über Heimat“ ging es zunächst um Reaktionen auf das Wort „Heimat“. Der Journalist Özgür Uludag, der die Reportage „Eine Kirche wird zur Moschee“ geschaffen hat, würde den Begriff Heimat abschaffen, genauso wie Grenzen oder ähnliches: „Er hat Potenzial zu viel Bösem und Negativem.“ Die Haltung von Lisa McMinn, die mit anderen Schülern der Henri-Nannen-Schule für das Projekt „Ein deutsches Dorf“ den Ort Werpeloh im Emsland besucht hat, war eine andere: „Ich möchte diesen Heimatbegriff gerne den Rechtspopulisten wieder wegnehmen und ihn mit Neuem füllen.“ Über ihr Verständnis von Heimat hätten sich die Schüler der Nannen-Schule während ihres Projektes viele Gedanken gemacht, berichtete sie: Die Jugendlichen, mit denen sie gesprochen habe, wollten alle im Dorf bleiben. Heimat bedeute für die Jugendlichen im Dorf, so Lisa McMinn, „vor allem Struktur; in der Landjugend zu sein, im Verein zu sein, die gesellschaftliche Sicherheit zu haben, das war für die Heimat“. Mit Politik oder Glauben hätte dies nichts zu tun gehabt.
Lisa Altmeier und Steffi Fetz von „Crowdspondent“ lassen sich mittels Crowdfunding einmal pro Jahr auf eine Reportagereise schicken – in ein Land, das ihre Leser bestimmen. Auch sie haben für eines ihrer Projekte und ihr Buch „Nix wie Heimat“ unter anderem aus der deutschen Provinz berichtet. Am besten hätte sich der Begriff „Heimat“ für sie aber bei ihrem Projekt in Japan definiert, ergänzte ihre Kollegin Steffi Fetz, „wir mussten uns dort an Regeln halten, die wir nicht kennen, die wir vielleicht auch gerade erst kennenlernen“.
„Man kann mehr über seine Heimat erfahren, wenn man sie verlässt“, sagte auch der Auslandskorrespondent Thomas Franke, „je weiter ich weg bin, desto eher stelle ich fest, dass es einen gemeinsamen Raum gibt – Europa – in dem ich mich zu Hause fühle“. Die Gesprächspartner von Frank Joung, der für seinen „Halbe Katoffl Podcast“ Deutsche mit nicht-deutschem Hintergrund interviewt, haben hingegen oft ein anderes Verhältnis zur Heimat: „Wenn wir von Heimat reden, ist es einmal Zuhause und einmal die Erinnerung an früher. Die Leute, mit denen ich spreche, haben oft nicht den einen Ort, den sie als Heimat betrachten.“
Leben im Netz
Im Panel „Heimatleben im Netz“ sagte Male Stüssel von WDRforyou: „Wir benutzen den Begriff Heimat so gut wie gar nicht auf der Seite. Ich weiß auch nicht, ob wir es schaffen, eine Heimat zu geben, aber wir schaffen es, die Heimat zu erklären.“ Das Projekt gibt neu nach Deutschland gekommenen Menschen hauptsächlich über Facebook Informationen über ihr neues Heimatland.
Die „Mädelsabende“ auf Instagram hingegen, ein Format, das der WDR für funk – das junge Angebot von ARD und ZDF - produziert, möchte seinen Nutzerinnen schon so etwas wie eine Heimat bieten: „Wir wollen unseren Userinnen einen geschützten Raum geben, wo sie über Themen sprechen können, über die sie mit anderen nicht sprechen können. Die Leute wollen das und brauchen das“, erklärte Clare Devlin, eine der Presenterinnen. „Man kann sich sowohl an einem physischen Ort und mit physischen Menschen zu Hause fühlen oder eine Heimat haben – man kann das aber auch online haben.“
Ein ganz besonderes Online-Projekt mit Heimatbezug vertrat Lukas Kuhlendahl von den „Weltenwebern“. Die Krefelder Agentur hat für Demenzpatienten eine Straßenkreuzung in Krefeld nachgebaut, so wie sie früher einmal war. „Damit versuchen wir, den Patienten ein Stück Heimat wiederzugeben, und anscheinend haben wir die Kreuzung gut getroffen. Die Leute haben sich wirklich daran erinnert.“ Der Journalist und Autor Dirk von Gehlen sprach auf dem Podium über ein sehr gegenwärtiges Projekt, das zunächst gar nicht nach online klingt: Er möchte einen Heimatverein für das Internet ins Leben rufen. „Ich möchte eine Lobbyorganisation für Menschen gründen, die im Internet zu Hause sind“, erläuterte er die Hintergründe, und dies auch, um wie klassische Interessenvertretungen in Gremien wirken zu können. Im Verlauf der Diskussion betonte er immer wieder die positiven Aspekte des Internets, das für ihn „ein Beweis dafür ist, dass wir menschheitsgeschichtlich einen Schritt über Rassismus und Nationalismus hinaus sind“. Lukas Bothur von „Reconquista Internet“ ist in dieser Hinsicht nicht ganz so euphorisch, setzt sich diese Bürgerrechtsbewegung doch gegen Hass und Hetze im Netz ein. „Wir sind nicht gegen etwas“, berichtete er, „wir sind für Liebe und Vernunft und für einen besseren Diskurs“. Manchmal, wenn man in der falschen Ecke des Netzes lande, so erzählte sein Mitstreiter, helfe aber nur noch, den Rechner zuzuklappen und rauszugehen, „dann merkt man, dass alles nicht so schlimm ist“.
Am Nachmittag wurden drei der Themen und Methoden in Workshops vertieft, so bei „Crowdfunding“ mit Lisa Altmeier und Steffi Fetz / Crowdspondent, bei „Podcasting für Anfänger: von der Idee zur Umsetzung“ mit Frank Joung / Halbe Katoffl Podcast und bei „Instagram Stories“ mit Verena Lammert & Clare Devlin / Mädelsabende. Und im Ausstellungsbereich des SCD konnten sich die Gäste über das neue docupy-Projekt „#Heimatland“ und über die aktuellen Beiträge zum Thema von piqd informieren.
Der Social Community Day findet seit 2010 in Köln statt und wird vom Grimme-Institut veranstaltet. Er wird unterstützt von der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen.