Ein Interview mit C. Schwidrik-Grebe und U. F. Bauch

Perspektiven einer Fernsehstadt

Im Interview: Claudia Schwidrik-Grebe und Uwe Frank Bauch. Foto: Georg Jorczyk / Grimme-Institut

Marl zwischen Tradition und Entwicklung: Claudia Schwidrik-Grebe (Dezernentin für Schule & Sport, Kultur & Weiterbildung, Arbeit & Soziales und Jugend der Stadt Marl) und Uwe Frank Bauch (Leiter der Volkshochschule der Stadt Marl) über die Verbindung von Grimme-Institut, Volkshochschule und Marler Gruppe und der Identifikation der Bürger*innen mit dem Haus.

Woran denken Sie, wenn Sie an Grimme denken?

C. Schwidrik-Grebe: Natürlich denke ich zuerst an den Grimme-Preis. Ich habe in Marl eine langjährige berufliche Vergangenheit als Theaterleiterin und bin im Rahmen meiner Tätigkeit sehr schnell in Kontakt mit dem Grimme-Institut und der Veranstaltung des Grimme-Preises gekommen. Als ich 2001 meine Tätigkeit in Marl aufgenommen habe, war der erste Berührungspunkt dabei allerdings mehr die organisatorische und technische Abwicklung der Preisverleihung.

U.F. Bauch: Es geht sicherlich vielen Marlerinnen und Marlern so, dass sie direkt an den Grimme-Preis denken. Ich verbinde damit vor allem eine Diskussion um Qualitätsfernsehen, denn das ist ja auch im Sinne des Schöpfers des Grimme-Preises, Bert Donnepp. Es geht um einen Qualitätsdiskurs über das Leitmedium Fernsehen. Fernsehen war zu der Zeit, als der Grimme-Preis initiiert wurde, das Leitmedium schlechthin. Das hat sich jetzt geändert. Aber ich finde, Grimme hat darauf gut reagiert, beispielsweise mit dem Grimme Online Award.

Was glauben Sie, woran die Marler Bürgerinnen und Bürger denken?

C. Schwidrik-Grebe: Das kommt sehr auf die Generation an, die man fragt. Diejenigen, die noch die Geschichte von Grimme und die Entwicklung der Volkshochschule in Marl in Verbindung mit Bert Donnepp kennen, werden auf die Frage anders antworten als diejenigen jungen Bürgerinnen und Bürger, die sich eher auf die bekannten Gesichter fokussieren, die dann beim Grimme-Preis zu sehen sind, Stars und Sternchen aus dem Fernsehen. Um diese Wissenslücke zu schließen und die Geschichte des Grimme-Instituts wieder mehr ins Bewusstsein zu bringen, müssen wir mehr tun.

U.F. Bauch: Die Marler Bürger und Bürgerinnen verbinden mit dem Grimme-Preis sicher den ­roten Teppich und die Gala im Theater. Vonseiten der Volkshochschule versuchen wir aber natürlich auch über die Marler Gruppe den Qualitätsdiskurs, also alles was hinter dem Grimme-Preis steht, mehr in die Breite zu tragen. Wir möchten Schülerinnen und Schüler, also auch die junge Generation, wieder an solche Formate wie Grimme-Preis und die Qualitätsdiskussion im Fernsehen herantragen.

Warum braucht es den Preis der Marler Gruppe für die Relevanz des Grimme-Preises, der sonst ein Expert*innen-Preis ist?

C. Schwidrik-Grebe: Erstens ist die Marler Gruppe ja ein Querschnitt des Publikums, das die Sendungen im Fernsehen zu Hause schaut. Aufgrund der Tradition und der Verwurzelung des Preises in Marl ist diese Gruppe unerlässlich. Zudem haben wir über die Volkshochschule in Marl eine lang gelebte Tradition, schwerpunktmäßig die Medien und ihre Entwicklung im Fokus zu halten, das heißt: In Marl ist die Arbeit der VHS und des Grimme-Instituts inhaltlich eng miteinander verzahnt. Dabei ist die Marler Gruppe ein ganz wichtiger Baustein, diese Tradition in die Zukunft zu tragen. Zudem haben Expertinnen und Experten tatsächlich oftmals einen anderen, sehr fachlichen Blick – die Marler Gruppe als diejenigen, die diese Arbeit nicht professionell machen, ist unbefangener und offen für andere Blickwinkel. Wäre der Grimme-Preis ein Preis, der ausschließlich von Expertinnen und Experten verliehen werden würde, wäre die Akzeptanz beim Publikum, nicht nur in Marl, sondern allgemein, nicht so groß. Klar, Expertinnen und Experten, die das Ganze inhaltlich füllen und flankieren, sind wichtig und richtig, aber ebenso wichtig ist diese Öffnung in die Bevölkerung bzw. in das Publikum.

U.F. Bauch: Letztendlich steht ja auch die Marler Gruppe in der Tradition dieser Idee der Medienkompetenz von Bert Donnepp. Donnepp wollte die Medienkonsumenten zu Medienproduzenten machen, einen Rollentausch vollziehen, um darüber Kompetenz zu erzeugen. In großen Teilen steht die Marler Gruppe für Medienkompetenzerfahrung. Hier wird unter fachkundiger Moderation Fernsehen anders beleuchtet. Die Marler Gruppe steht für eine zuschauernahe Juryarbeit. Was uns besonders freut, ist, dass viele Mitglieder der Marler Gruppe junge Menschen sind.

C. Schwidrik-Grebe: Dass eben aus diesen Laien inspiriert durch die Jury-Tätigkeit gegebenenfalls auch Expertinnen und Experten werden, finde ich eine wunderbare Perspektive. Die Schülerinnen und Schüler aus der Gruppe gehen ins Land, zum Beispiel zum Studium, und haben ihre Erfahrungen aus der Jury im Gepäck, sie schauen anders Fernsehen – mitunter erwächst daraus die nächste Fachjury. Tatsächlich hat Marl ja einige prominente Beispiele in der Filmbranche hervorgebracht, die immer wieder mal nach Marl zurückkehren.

Man betreibt damit also auch eine Art Nachwuchsförderung.

C. Schwidrik-Grebe: Absolut. Das ist der erste Schritt, in die Medienbranche reinzuschnuppern. So einen besonderen Blick auch hinter die Kulissen, wie wir ihn hier anbieten können, bekommt man ja nicht in jeder Stadt. Das ist etwas ganz Besonderes.

Was macht den Standort Marl für das Grimme-Institut und die Grimme-Preisverleihung so besonders?

C. Schwidrik-Grebe: In einer größeren Stadt wäre die Grimme-Preis-Verleihung eine Veranstaltung unter vielen ihrer Art im Medien- und Kulturbereich. Der Preis hat in Marl seine Wurzeln, hier hat er Tradition. Klar, wir sind keine große Stadt, aber Marl ist eine Stadt, die sich schon immer offen und mutig für besondere Entwicklungen und Ideen gezeigt hat. Eine dieser wunderbaren Ideen stammt von Bert Donnepp. Der Grimme-Preis und das Grimme-Institut gehören einfach nach Marl. Hier kommt der Grimme-Preis her, hier gehört er hin. Aus meiner Sicht darf diese Verbindung zur Stadt nicht abreißen. Ganz wichtig ist, der Preis ist dadurch besonders und für die Region einzigartig.

U.F. Bauch: Das Grimme-Institut und der Grimme-Preis strahlen natürlich in die Arbeit der VHS hinein. Die insel-VHS ist sehr aktiv im Bereich der Medienkompetenz, auch in Zusammenarbeit mit der Grimme-Akademie zu Themen wie Fake News oder Desinformation. Die Schulabschlusskurse produzierten gerade unter fachkundiger Leitung eine Reportage über den Zweiten Bildungsweg. Sie durchlaufen den Rollentausch von Konsumenten zu Produzenten, womit wir wieder bei einer der Grundideen von Bert Donnepp wären. Im vergangenen Semester initiierte die Volkshochschule beispielsweise eine Veranstaltung über die Glaubwürdigkeit der Medien und warum die Glaubwürdigkeit gerade der Mainstream-Medien abnimmt. Dazu gewinnen wir viele Partner aus den unterschiedlichsten Medienbereichen, seien es Produzenten, Journalisten oder die Gewerkschaften. In der VHS gibt eine ganze Reihe von ständig laufenden Programmangeboten zur Medienkompetenzvermittlung. Als Volkshochschule fühlen wir uns dem Medienkompetenzansatz von Bert Donnepp und dem Institut besonders verpflichtet.

C. Schwidrik-Grebe: Gerade die Veranstaltungen mit besonderem Medienbezug, das kann ich aus Erfahrung sagen, sind in Marl sehr interessiert besucht. Ich will nicht behaupten, dass sie woanders nicht auch gut frequentiert wären, aber hier haben sie einfach eine Tradition und hier haben sie einen hohen Stellenwert. Dies wird auch vom Publikum so gesehen und durch den Besuch dann entsprechend auch deutlich gemacht.

U.F. Bauch: Ich glaube schon, dass wir in Marl auch im Bereich der Volkshochschule ein Publikum haben, das an Medienthemen interessiert ist. Wir müssen uns da um die „Einschaltquote“ keine großen Sorgen machen. Sobald das im Programm steht, kann ich mich auch solide darauf verlassen, dass der Abend gut besucht ist. Ich glaube, das hat auch damit zu tun, dass, wenn man sich vielleicht nicht direkt als Fernsehstadt versteht, es aber jedenfalls eine hohe Medienaffinität gibt.

C. Schwidrik-Grebe: Die Identifikation der Menschen mit der Stadt und dem Grimme-Institut ist eng. Diese Verbindung, diese Nabelschnur würde man tatsächlich kappen, wenn man die Grimme-Preisverleihung an einen anderen Ort bringt. Ich glaube, dass die Veranstaltung dann die besondere Bedeutung und Wahrnehmung verlieren würde. Auch der Deutsche Volkshochschul-Verband fühlt sich dieser Tradition verpflichtet und zollt dem durch die besondere Ehrung im Rahmen des Grimme-Preises seine Anerkennung.

Was wünschen Sie sich für die nächsten 50 Jahre Grimme-Institut und den Standort Marl?

C. Schwidrik-Grebe: Ich finde es sehr wichtig, wieder mehr auf die Gesellschaft, auf die Menschen, besonders hier in Marl, zuzugehen. Man darf meiner Meinung nach nicht vergessen, dass das, was beim Grimme-Preis ausgezeichnet wird, für Menschen, für das Publikum gemacht ist. Hier wünsche ich mir einen intensiveren Diskurs. Natürlich ist der fachliche Diskurs elementar, aber die Rückkopplung zum Zuschauer, die müsste noch intensiver geschehen. Ich würde mir auch wünschen, dass wieder etwas mehr Publikum für die Aftershow-Party eingeladen werden kann, um in diesem Rahmen eben diese Rückkopplung mit den Bürgerinnen und Bürgern zu feiern.

U.F. Bauch: Für das Grimme-Institut und den Standort Marl habe ich eine eindeutige Wunschliste: Ich würde mir aus Sicht der Volkshochschule noch mehr Impulse und Kooperation in Richtung Medienkompetenz wünschen. Entsprechende Nachfrage ist in der gesamten Volkshochschullandschaft vorhanden. Und ich wünsche mir natürlich insgesamt eine Offenheit gegenüber solchen Anfragen. Wer weiß, wie sich Medien, Mediennutzung und Fernsehen noch weiterentwickeln? Und was müssen wir tun, um die Nutzerinnen und Nutzer kompetent zu machen? Das, finde ich, sind ganz spannende Fragen, die wir als VHS gerne im Bereich der Erwachsenenbildung diskursiv begleiten wollen. Ich wünsche mir eine engere Verbindung zwischen dem Mediendiskurs des Grimme-Instituts und den Bildungsmöglichkeiten der VHS-Landschaft. Das muss auch nicht in den nächsten 50 Jahren passieren, vielleicht lieber in den nächsten 5 Jahren.

Das Interview führte Katharina Schmitz.