Sind unterhaltende Formate mehr als „reine Unterhaltung“ und können sie gar bilden, verbinden und zur Abbildung von Vielfalt beitragen? Die Frage nach dem „Wert der Unterhaltung“ sollte in der gleichnamigen Veranstaltungsreihe im Anschluss an die Beteiligungsplattform #meinfernsehen2021 in drei Werkstattgesprächen diskutiert werden. Der Auftakt der Veranstaltungsreihe „Vom Wert der Unterhaltung“ beschäftigte sich am 22. Oktober 2021 im Rahmen des Film Festival Cologne unter anderem mit der Abbildung von Diversität und Wirklichkeit in unterhaltenden Formaten.
Werkstattgespräch 1: „Unterhaltung ist Vielfalt“
Moderation: Thomas Lückerath (Geschäftsführer und Chefredakteur des Medienmagazins DWDL)
Input: Dr. Heike Hupertz (Medienkritikerin)
Podiumsgäste: Frank Beckmann (Fernsehprogrammdirektor NDR), Nico Hofmann (Geschäftsführer UFA), Nina Klink (Geschäftsführerin Seapoint Productions) Bendix Lippe (ZDF-Fernsehrat), Shary Reeves (Moderatorin)
Das Thema Diversität wurde in den letzten Jahren immer häufiger und intensiver zum Gegenstand gesellschaftlicher Diskussionen und Fragestellungen. Auch von den Medien – und insbesondere den öffentlich-rechtlichen Anbietern – wird erwartet, sich mit Diversität und ausdrücklich der Repräsentation und Darstellung dieser in ihren Programmen und Formaten auseinanderzusetzen. Doch wie kann das das gelingen? Was können Verantwortliche tun, um in unterhaltenden Fernsehformaten der Abbildung unserer diversen Gesellschaft gerecht zu werden?
Das erste Werkstattgespräch „Unterhaltung ist Vielfalt“ eröffnete genau diesen Diskurs. Geschäftsführer und Chefredakteur des Medienmagazins DWDL Thomas Lückerath übernahm die Moderation und lud fünf Medienmacher*innen aus verschiedenen Bereichen zum Gespräch. Einen Input zur Thematik des Unterhaltungswerts und der Abbildung von Diversität in unterhaltenden Genres lieferte die Medienkritikerin Dr. Heike Hupertz, der als Leitartikel in der Novemberausgabe der epd Medien erschien.
Von Seiten der Organisator*innen begrüßte und eröffnete Prof. Dr. Oliver Castendyk die Runde mit einem Exkurs zum Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Sinne des Bundesverfassungsgerichts. Die Prämisse „entertain, inform and educate“ sei im Grunde immer noch der Leitfaden für das öffentlich-rechtliche Mediensystem als Gegengewicht zum privaten System, welches auf Augenhöhe stattfindet und dementsprechend dieselbe Relevanz und Breitenwirksamkeit habe. Die Erwartung des Bundesverfassungsgerichts an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sei, so Castendyk, dass Vielfalt im Sinne von Meinungen, Werten, Lebensperspektiven und -realitäten abgebildet wird.
Aber: Braucht es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk überhaupt, um Diversität abzubilden, wenn auch private Anbieter dies in angemessener Weise schaffen? Ja, und da war sich die Gesprächsrunde einig, denn das öffentlich-rechtliche System müsse (durch die Beiträge und den Programmauftrag) garantieren, dass „Gutes“ gemacht werde, einen Qualitätsanspruch umsetzen und dementsprechend auch an die Abbildung einer diversen Gesellschaft. Es geht hier um „Pflicht“, nicht um „Kür“.
Was können also konkrete Maßnahmen sein? „Eine gute Mischung vor und hinter der Kamera führt zum Erfolg“, so Moderatorin und Podiumsteilnehmerin Shary Reeves, beispielsweise „ müssen auch hinter der Kamera mehr Frauen arbeiten und in Gremien und Aufsichtsräten sitzen“. Wer die Abbildung von Diversität auch vor der Kamera sicherstellen möchte, müsse diese von Beginn an in die Redaktionen bringen und das bedeutet - dem jüngsten Mitglied des ZDF-Fernsehrats Bendix Lippe zufolge - auch, die Einstiegsschwellen etwa zu Praktika oder Volontariaten niedriger halten und nicht nur „Privilegierten“ den Zugang zu den Redaktionen ermöglichen.
Vielfalt bedeutet (ebenfalls), etwas sichtbar zu machen, was man unter Umständen nicht kennt: „Wollen wir mehr Fenster oder Spiegel?“, fragte Frank Beckmann in die Runde. Wollen wir als Zuschauer*innen also die Abbildung des Gewohnten, unserer eigenen Lebensrealität oder auch die Sichtbarkeit einer anderen, uns unbekannten Lebensperspektive? Und wäre es darüber hinaus möglich, von- und übereinander zu lernen? Ja, da waren sich die Medienmacher*innen um Moderator Thomas Lückerath einig. Der Abbildung von Diversität helfe es nach Nina Klink – die aus Produzentinnen-Perspektive berichtete – außerdem ungemein, diese „nebenbei“ in erfolgreichen Formaten einzustreuen. Sie sollten nicht in Nischenproduktionen in Mediatheken zur Verfügung stehen, die dann „nur“ ein interessiertes Publikum erreichen, das sich ohnehin mit der Thematik beschäftigt. Nico Hofmann fügte hinzu: Diversität sollte kein Zugang sein, sondern dort genutzt und abgebildet werden, wo es geht und passt – so ergibt sich die Chance der Selbstverständlichkeit statt Erziehung.
Unterhaltung kann also etwas bewirken. Sie kann „an sich“ einen Wert haben und somit „Unterhaltung mit Haltung“ sein, so Frank Beckmann und fügte abschließend hinzu: „Wenn man Menschen erreichen will, kommt man an der Unterhaltung nicht vorbei“.
Werkstattgespräch 2: „Unterhaltung bildet“
Moderation: Klaudia Wick (Journalistin und Fernsehkritikerin, Deutsche Kinemathek)
Input: Dr. Gerd Hallenberger (Medienwissenschaftler und Grimme-Preis-Juror)
Podiumsgäste: Katrin Kroemer (Vertreterin des DJV im ZDF Fernsehrat und Mitglied im Programmbeirat ARTE Deutschland), Thomas Schreiber (Geschäftsführer ARD Degeto), Dr. Gabriela Sperl (Film- und Fernsehproduzentin, Drehbuchautorin, Leiterin der Abtl. Medienwissenschaft, HFF München), Sabine Heinrich (Hörfunk- und Fernsehmoderatorin)
Wie tragen unterhaltende Fernsehformate zur Wissens- und Wertevermittlung bei? Darüber diskutierten Medienmacher*innen am 22. November 2021 bei dem 2. Werkstattgespräch „Unterhaltung bildet“ im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Vom Wert der Unterhaltung“. Die Veranstaltung wurde aufgezeichnet und steht hier zur Verfügung.
Die von der Journalistin und Fernsehkritikerin Klaudia Wick moderierte Veranstaltung startete mit einem einführenden Interview mit einer der Veranstalter*innen – der Direktorin des Grimme-Instituts Dr. Frauke Gerlach – und der themengerechten Frage nach Unterhaltung und Bildung. Mit dem angestoßenen Diskurs durch die Werkstattreihe habe man eine Punktlandung geschafft, so Gerlach, denn die Debatte über Unterhaltung im Fernsehen sei sehr aktuell, insbesondere durch den nun vorliegenden Diskussionsentwurf zum Medienstaatsvertag. Hier seien die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts von zentraler Bedeutung, danach gehöre die Unterhaltung zum öffentlich-rechtlichen Angebotsprofil. Die Unterhaltung habe darüber hinaus „in der Gesellschaft an Wert zugenommen“. Mit der Einführung des Privatfernsehens habe sich Gerlach zufolge der Bereich der Unterhaltung zudem qualitativ ausdifferenziert. Die Kategorie „Unterhaltung“ gibt es übrigens seit 1994 beim Grimme-Preis so Gerlach weiter.
Nachfolgend eröffnete Grimme-Preis-Juror Dr. Gerd Hallenberger mit einer Keynote über die medienhistorische Entwicklung und Bedeutung des Unterhaltungsfernsehens – verknüpft mit Überlegungen zu Bildungspotenzialen. Während das Fernsehen in seinen Anfängen noch an einen strikten Bildungsauftrag geknüpft wurde – „Wir senden, was die Leute sehen wollen sollen“ (Adolf Grimme, frei zitiert nach Gerd Hallenberger) – sind Bildung und Unterhaltung heute weniger voneinander trennbar, so der Grimme-Preis-Juror. Satire werde längst als Informationsmedium wahrgenommen, moderne Quizshows schaffen als Mehr-Generationen-Fernsehen Gemeinsinn und vermitteln Wissensinhalte, fiktionale Serien und Filme verhandeln alltägliche Themen wie Altersarmut und das Leben in der Migrationsgesellschaft.
Was Unterhaltung sei, komme, so Katrin Kroemer, dabei auch immer auf die persönliche Perspektive der Zuschauer*innen an. Und: „Wenn es Dinge sind, die Menschen anregen, und die sie emotional zu fassen bekommen, dann ist es völlig egal, ob es eine Tanzshow oder ein historischer Mehrteiler ist,“ so Dr. Gabriela Sperl, denn am Ende suche sich das Publikum seine (Bildungs-)Inhalte. Sie freue sich besonders über die zunehmende Vielfalt an Unterhaltungsformaten und deren Durchmischung: „Ich finde es toll, dass augenblicklich die U- und E-Schranken fallen, dass es andere Formate gibt und sich die Grenzen öffnen“, so Sperl weiter. Das habe aber auch mit der neuen Konkurrenzsituation zu tun, die durch den Streaming-Markt entstanden sei.
Darf Unterhaltungsfernsehen aber auch nur „leicht“ sein? Diese Frage beantworteten die Teilnehmer*innen aus ganz unterschiedlichen Perspektiven: „Ich entspanne mich dabei. Das darf Fernsehen auch,“ so Hörfunk- und Fernsehmoderatorin Sabine Heinrich. Unterhaltung darf aber auch nicht unterkomplex sein oder gar überfordern, daher sind Unterhaltungsformate „immer eine Gradwanderung“, so Heinrich weiter.
Und Thomas Schreiber verdeutlichte, dass gerade in vermeintlich „leichter Unterhaltung“ vielfach gutes Handwerk stecke, dort immer wieder Wissens- und Wertevermittlung stattfinde, mit der ganz unterschiedliche Zielgruppen erreicht werden können – Unterhaltung ist reichweitenstark. Unterhaltungsformate schaffen Gemeinschaftserlebnisse, das ist „eine große Leistung in einer Gesellschaft, die zunehmend auseinanderdriftet“, so Schreiber weiter.
Werkstattgespräch 3: „Unterhaltung verbindet“
Moderation: Vera Linß (Moderatorin/Journalistin)
Input: Dr. Florian Kumb (Chef der Programmplanung ZDF)
Podiumsgäste: Georg Hirschberg (Geschäftsführer Prime Productions), Dr. Oliver Heidemann (Leiter Hauptredaktion Show), Heike Raab (Staatssekretärin in der Staatskanzlei Rheinland-Pfalz und Bevollmächtigte des Landes Rheinland-Pfalz beim Bund, für Europa und Medien), Constanze Weihrauch (Künstlermanagerin)
Bildung und Vielfalt in unterhaltenden Fernsehformaten wurden in den vorangegangenen Werkstattgesprächen bereits diskutiert. Am 29.11.2021 schloss die Reihe mit einem Austausch unter dem Titel „Unterhaltung verbindet“ live aus den MMC Studios in Köln ab. Wer den Livestream verpasst hat, kann sich das Gespräch hier anschauen.
Von Seiten der Organisator*innen begrüßte Stefan Oelze vom Film und Medienverband NRW die Medienmacher*innen rund um Moderatorin Vera Linß und ließ die vorhergehenden Werkstattgespräche Revue passieren: „Welchen öffentlich-rechtlichen Rundfunk brauchen wir und welchen wollen wir haben?“, fragte er (auch) im Hinblick auf den neuen Diskussionsentwurf zu Auftrag und Strukturoptimierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks [LINK zur Beteiligung]. Besonders wichtig seien die Akzeptanz und das Vertrauen in das öffentlich-rechtliche Mediensystem und dementsprechend von Seiten der Verantwortlichen der Blick auf Qualität, Relevanz, Vielfalt und Zugänglichkeit. Unterhaltung könne in diesem Zuge Sinn- sowie Identitätsstiftend sein und Haltung zeigen.
An die Begrüßung anknüpfend führte Dr. Florian Kumb mit einem Input zur Thematik des Abends an. Primär aus der ZDF-Perspektive stellte Kumb senderspezifische, zentrale Herausforderungen – wie den gesellschaftlichen Wandel, Desinformation und internationale Streamingdienste – sowie den gesellschaftlichen (Mehr)Wert von Unterhaltung vor und betonte, dass nicht Unterhaltung der Gegensatz von Information sei, sondern Desinformation.
Aber was bedeutet Unterhaltung für die Gesprächspartner*innen überhaupt? Mit dieser Frage leitete Moderatorin Vera Linß die Diskussion ein. Constanze Weihrauch zufolge zählt zur Unterhaltung „alles das, was uns nicht langweilt und emotional auflädt und abholt“. Insbesondere öffentlich-rechtliche Angebote sollten sich hierbei durch eine besondere Qualität und Erreichbarkeit auszeichnen und so vom privaten System abheben, regte Heike Raab an und verlagerte den Diskurs so auf eine medienpolitische Perspektive. Dabei stand eine Frage ganz zentral im Raum: Wie muss sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk zukunftsweisend weiterentwickeln? Raab plädierte für eine Schärfung des Programmauftrags, welche auch in dem zuvor bereits genannten Diskussionsentwurf Anklang findet. Die Formulierung im Entwurf des Medienstaatsvertrags sei Raab zufolge, im Hinblick auf die Unterhaltung aus der allgemeinen, gesellschaftspolitischen Debatte erwachsen und lässt sich insofern als Kompromiss lesen, als dass sich einige demokratische Parteien in Deutschland in ihren Wahlprogrammen für einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk ganz ohne Unterhaltung aussprechen. Unterhaltung habe außerdem einen dienenden Effekt, so Raab weiter, und müsse in entscheidendem Maße dem öffentlich-rechtlichen Angebotsprofil entsprechen: Kultur, Bildung, Information und Beratung seien hier immer miteinzubeziehen. Georg Hirschberg gab jedoch zu bedenken, ob ebenjene Schärfung nicht eine Verknappung des Angebots zur Folge hätte. Denn insbesondere die Unterhaltung sei „perspektivisch elementar für die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“: Nur unterhaltende Formate schaffen es, Hirschberg zufolge, eine große Quantität auch milieuübergreifend zu erreichen. Unterhaltung schaffe gesellschaftliche Auseinandersetzung und einen Mehrwert, auch und insbesondere an „unerwarteter Stelle“, so Oliver Heidemann.
Für die Unterhaltung im öffentlich-rechtlichen Mediensystem gilt Heike Raab zufolge: Schnelle, öffentliche Zugänge sind jetzt und zukünftig besonders wichtig: Die Auffindbarkeit des Contents lasse sich als eine „neue Währung“ bezeichnen. Mit dem dritten Medienänderungsstaatsvertrag sollen darüber hinaus mehr Experimentierfelder eröffnet und flexible Lösungen geschaffen werden, insbesondere um auch jüngere Zuschauer*innen für die Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu gewinnen.
Abschließend gab Moderatorin Vera Linß eine letzte Frage in die Runde: Was sind die Wünsche für die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks? Für Heike Raab sei es zukünftig besonders wichtig, die gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber dem dualen Mediensystem zu stärken. Georg Hirschberg zufolge sei es zudem relevant, Starrheit zu verlieren sowie Flexibilität zu ermöglichen und Constanze Weihrauch wünschte sich, Unterhaltung als „Teil von allem“ und wichtigem Beitrag zum Miteinander zu begreifen. Oliver Heidemann erhoffte sich mit Blick auf die Zukunft, die Unterhaltung als eine Säule des öffentlich-rechtlichen Mediensystems in der gesellschaftlichen Wahrnehmung zu etablieren. Zuletzt fasste Georg Hirschberg die übergreifende Frage nach dem Wert der Unterhaltung wie folgt zusammen: „Ohne Unterhaltung ist alles nichts“.
Veranstalter der Reihe sind die Allianz Deutscher Produzenten – Film & Fernsehen e. V. (Sektion Entertainment), der Film und Medienverband NRW e. V., der Film- und Medienstiftung NRW und das Grimme-Institut, Gesellschaft für Medien, Bildung und Kultur mbH.
Kooperationspartner sind das Film Festival Cologne, die ifs internationale filmschule köln, die MMC Studios Köln GmbH und DWDL.de. Die Veranstaltungsreihe wurde gefördert durch den Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen.