1955 wurde das erste Volkshochschul-Gebäude der Bundesrepublik eingeweiht. Und zwar in Marl. Der zweistöckige Backsteinbau erhielt den Namen „die insel“ und war rund 20 Jahre lang Heimat der Volkshochschule. Später zog das Grimme-Institut dort ein. Eine Ausstellung im Marler Skulpturen-museum zeichnet jetzt die Geschichte des Hauses und der Erwachsenenbildung in Marl nach.
Ein Lesesaal als Installation
Das Museumsfoyer ist gemütlich hergerichtet worden. Mitten im Raum laden dunkelbraune Holztische und Ledersessel dazu ein, es sich bequem zu machen. Dazwischen Zimmerpflanzen. Für die Dauer der Ausstellung dürfen Besucher*innen in dieser Rauminstallation verweilen und in der Geschichte der Marler „insel“ blättern, die in vielen Zeitungsartikeln dokumentiert wurde.
Ein Haus ganz für die Bildung
Nach dem Zweiten Weltkrieg treffen in Marl zwei ehrgeizige Personen aufeinander. Rudolf-Ernst Heiland, 1946 zum Bürgermeister gewählt, möchte für die verstreuten Ortsteile ein neues Stadtzentrum erschaffen. Dr. Bert Donnepp, Pädagoge und Publizist, träumt von einer modernen Erwachsenenbildung. Beide erkennen, dass sie von den Zielen des jeweils anderen profitieren können, und so entsteht die Volkshochschule der Stadt Marl. Schon Ende der 40er Jahre beginnt die Planung für ein eigenes Haus, das ganz der Bildung gewidmet sein soll. Der Architekt Dr. Günther Marschall, der für die Stadtplanung in Marl verantwortlich ist, entwirft einen Atriumbau mit Glas-Fassaden und lichtdurchfluteten Räumen. In ein paar Jahren wird sich in seiner Nähe das neue Marler Stadtzentrum entfalten, doch zunächst steht das Gebäude ziemlich allein in der Heidelandschaft. Zwischen seinen Mauern vereint das Haus Volkshochschule, Lesesaal und Bibliothek. Auf Vorschläge der Marler Bürger*innen hin tauft Donnepp es „die insel“.
Ziel: Ein „kulturelles Stadtbewusstsein“
Herzstück der Ausstellung im Skulpturenmuseum ist ein großer Fernseher. Von schwarzen Ledersesseln aus können die Besucher*innen einen Film der Künstler*innen Fari Shams und Arne Schmitt anschauen, der die Geschichte der „insel“ anhand von Archivmaterial und aktuellen Sequenzen erzählt. Dabei geht es dem Film auch darum, den besonderen Charakter der „insel“ als Bildungsinstitution nachzuzeichnen.Ein Aufenthalt in dem Gebäude solle sich „wie ein Urlaub auf einer ostfriesischen Insel“ anfühlen, sagt Bert Donnepp in einer Interviewsequenz. Dabei solle die „insel“ keine Flucht aus dem Alltag sein, sondern eine Auszeit. In dem zurückgezogenen Haus könnten neue Gedanken entstehen, die man dann wieder mit in den Alltag nehmen könne, erklärt der erste Direktor des Hauses.
Mit seinem Anliegen stößt Donnepp in den 50er Jahren auf eine heterogene Gesellschaft. Viele Geflüchtete und Arbeitssuchende sind nach dem Krieg in Marl gelandet und suchen vor allem eins – Arbeit. Die finden sie in den Zechen und in dem 1938 gegründeten Chemiewerk. Der Wert der Arbeit soll in dieser Stadt weiter gewürdigt werden. Gleichzeitig soll aber auch ein „Mehr“ für die Bevölkerung geschaffen werden: Kunst, Kultur und Bildung für eine neue „Bildungsschicht von nie gekannter Breite“. Bürger*innen sollen ermuntert und befähigt werden, sich selbst an der Gestaltung ihrer Stadt zu beteiligen. Belehrung von oben herab ist in der „insel“ unerwünscht.
Ausbau der Bildungsarbeit und Umzug in den Marler Stern
Die „insel“ hat bald ihren festen Platz im öffentlichen Leben der Marler*innen. Nach einigen Jahren ist klar: Für den immerzu wachsenden Betrieb ist das Gebäude zu klein. Da kommt es gerade recht, dass ganz in der Nähe ein modernes Einkaufszentrum entstehen soll. Als der „Marler Stern“ im Oktober 1974 der Bevölkerung übergeben wird, hat die „insel“ dort einen festen Platz in der oberen Etage.
„Bildung gilt damit nicht mehr als kostbares Gut, sondern als für jeden erreichbare Ware“, beschreiben die Künstler*innen. In Shams‘ und Schmitts Film erinnern sich auch ehemalige Lehrer*innen und Angestellte der „insel“ zurück. „Ich kann mich noch an Frauen erinnern, die ihre Männer samstags im Lesesaal abgegeben haben und dann in Ruhe einkaufen gegangen sind“, erzählt Erika Benner aus ihrer Zeit in der „insel“. „Und wenn sie fertig waren, haben sie die Männer wieder abgeholt.“ Die Verbindung von Bildung und Kommerz sagt nicht allen zu. Klar ist aber: Durch die neue Lage im Marler Stern sinkt die Schwelle zwischen den Bürger*innen und ihrem Bildungswerk weiter.
Inhaltlich passt die Volkshochschule ihre Angebote an die sich wandelnden Bedürfnisse an. Sprachkurse, EDV-Kurse, Themen rund um Gesundheit und Fitness – der „insel“ gelingt die Entwicklung zu einer modernen Bildungseinrichtung. Bert Donnepp bleibt bis zu seiner Pensionierung 1979 Direktor. Eine Büste von ihm hängt auch heute noch im ehemaligen „insel“-Gebäude.
Neue Mieter für die alte „insel“: Das Grimme-Institut
Der Adolf-Grimme-Preis für Qualität im Fernsehen wird 1964 zum ersten Mal verliehen. 1973 initiiert Bert Donnepp die Gründung des Adolf-Grimme-Instituts, das sich von da an mit der Preisvergabe befasst. Das Institut findet seine Heimat in der alten „insel“. Im Jahr 2010 fusioniert es mit dem Marler Europäischen Zentrum für Medienkompetenz (ecmc) und trägt ab da den Namen Grimme-Institut.
2014 wird das ehemalige „insel“-Gebäude in „Bert-Donnepp-Haus“ umbenannt.
Kurz und knapp
„die insel“ ist eine Ausstellung von Fari Shams und Arne Schmitt. Sie ist noch bis Sonntag, 1. März im Skulpturenmuseum Glaskasten Marl, Creiler Platz 1, zu sehen.
Öffnungszeiten:
Dienstag bis Freitag 11 Uhr - 17 Uhr
Samstag und Sonntag 11Uhr - 18 Uhr