(Marl/Köln) „Kann man auch im Internet zuhause sein? Dafür spricht einiges: Es ist ein Ort, an dem man viel Zeit verbringt, zusammen mit anderen“, sagte Nathanael Liminski, Staatssekretär und Chef der Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen, in seiner Rede zur Eröffnung des neunten Social Community Day im Kölner KOMED.
„Wichtig ist, dass auch in dieser digitalen Heimat die Regeln unseres Gemeinwesens gelten und die Werte der freiheitlichen demokratischen Ordnung gelebt werden“, so fuhr er fort. „Kurzum: Wir müssen digitale Heimat gestalten – gemeinsam.“
Um ganz bewusst aus verschiedenen Blickwinkeln den vielschichtigen Begriff „Heimat“ zu beleuchten, sind am 26. November mehr als 120 Teilnehmer zum #SCDay18 ins Kölner KOMED gekommen. Ihnen wurden Projekte und Initiativen vorgestellt, deren methodische und inhaltliche Ansätze die Vieldeutigkeit des Begriffs selbst widerspiegeln: etwa Heimat bei Instagram oder als VR-Realität, Heimat, die verlassen wurde und nun woanders neu aufgebaut wird, Heimat der anderen aus dem Blickwinkel des „Fremden“, Heimat der vielen.
„Neben hervorragenden Beiträgen für den Qualitätsdiskurs des Grimme-Instituts liefert uns der Grimme Online Award Jahr für Jahr auch verlässliche Hinweise darauf, was aktuell gesellschaftlich diskutiert wird“, so die Direktorin des Grimme-Instituts, Dr. Frauke Gerlach, in ihrer Begrüßung. „Der Begriff Heimat wird viel zu oft politisch vereinnahmend und eindimensional besetzt. Wir widmen uns heute dem Reichtum von Heimatbegriffen und weiten den Blick auf unterschiedliche Perspektiven und Realitäten.“
Auch der SCD 2018 fand wieder in Kooperation mit dem Grimme Online Award statt. Neben anderen Experten waren viele Nominierte, Preisträgerinnen und Preisträger des #GOA18 auf der Bühne und in der Ausstellung vertreten, die ihre Ideen und ihre Projekte zu „Heimat“ vorstellten und mit dem Publikum diskutierten.
Im ersten Panel ging es um „Wissen über Heimat“ und zunächst einmal auch um den Heimatbegriff. „Ich würde den Begriff Heimat abschaffen, genauso wie Grenzen oder ähnliches“, provozierte der Journalist Özgür Uludag von „Eine Kirche wird zur Moschee“, „er hat Potenzial zu viel Bösem und Negativem“. Lisa McMinn, die mit anderen Schülern der Henri-Nannen-Schule für das Projekt „Ein deutsches Dorf“ den Ort Werpeloh im Emsland besucht hat, setzte dagegen: „Ich möchte diesen Heimatbegriff gerne den Rechtspopulisten wieder wegnehmen und ihn mit Neuem füllen.“ Über ihr Verständnis von Heimat hätten sich die Schüler der Nannen-Schule während ihres Projektes viele Gedanken gemacht, berichtete sie, „wir sind alle zwischen 20 und 30 Jahre alt gewesen – ‚wo gehöre ich hin‘, ‚wer bin ich eigentlich‘, sind Fragen, die einen in dieser Zeit beschäftigen“. Auch Lisa Altmeier und Steffi Fetz von „Crowdspondent“ haben für eines ihrer Projekte und ihr Buch „Nix wie Heimat“ unter anderem aus der deutschen Provinz berichtet. „Wir hatten das Gefühl, wir Journalisten hängen dann doch oft in den Großstädten rum“, erzählte Lisa Altmeier über die Idee, „es war der Eindruck, dass wir nicht mit allen oder für alle in Deutschland berichten. Es war auch das, was die Crowd sich von uns gewünscht hat“. Am besten hätte sich der Begriff „Heimat“ für sie aber bei ihrem Projekt in Japan definiert, ergänzte ihre Kollegin Steffi Fetz, „wir mussten uns dort an Regeln halten, die wir nicht kennen, die wir vielleicht auch gerade erst kennenlernen“. „Man kann mehr über seine Heimat erfahren, wenn man sie verlässt“, bekräftigte auch der Auslandskorrespondent Thomas Franke, „je weiter ich weg bin, desto eher stelle ich fest, dass es einen gemeinsamen Raum gibt – Europa – in dem ich mich zu Hause fühle“. Die Gesprächspartner von Frank Joung, der für seinen „Halbe Katoffl Podcast“ Deutsche mit nicht-deutschem Hintergrund interviewt, haben hingegen oft ein anderes Verhältnis zur Heimat: „Wenn wir von Heimat reden, ist es einmal Zuhause und einmal die Erinnerung an früher. Die Leute, mit denen ich spreche, haben oft nicht den einen Ort, den sie als Heimat betrachten.“ Doch auch in Bezug auf das Internet kann sich der Heimatbegriff ändern, wie Lisa Altmeier zusammenfasste: „Für mich ist Heimat ein Ort, an dem ich mich wohlfühle, ein Ort, an dem Menschen, die ich mag, zusammenkommen. Egal ob das analog oder digital ist.“
Nach einer kurzen Pause ging es um „Heimatleben im Netz“ und auch hier zunächst um den Heimatbegriff: „Wir benutzen den Begriff Heimat so gut wie gar nicht auf der Seite. Ich weiß auch nicht, ob wir es schaffen, eine Heimat zu geben, aber wir schaffen es, die Heimat zu erklären“, erläuterte Male Stüssel von WDRforyou. Das Projekt gibt neu nach Deutschland gekommenen Menschen hauptsächlich über Facebook Informationen über ihr neues Heimatland. Die „Mädelsabende“ auf Instagram, ein Format, das der WDR für funk – das junge Angebot von ARD und ZDF - produziert, möchte seinen Nutzerinnen schon so etwas wie eine Heimat bieten: „Wir wollen unseren Userinnen einen geschützten Raum geben, wo sie über Themen sprechen können, über die sie mit anderen nicht sprechen können. Die Leute wollen das und brauchen das“, erklärte Clare Devlin, eine der Presenterinnen. „Man kann sich sowohl an einem physischen Ort und mit physischen Menschen zu Hause fühlen oder eine Heimat haben – man kann das aber auch online haben.“ Ein ganz besonderes Online-Projekt mit Heimatbezug vertrat Lukas Kuhlendahl von den „Weltenwebern“. Die Krefelder Agentur hat für Demenzpatienten eine Straßenkreuzung in Krefeld nachgebaut, so wie sie früher einmal war. „Damit versuchen wir, den Patienten ein Stück Heimat wiederzugeben“, berichtete Kuhlendahl, „und anscheinend haben wir die Kreuzung gut getroffen. Die Leute haben sich wirklich daran erinnert“. Eine Heimat im Internet könne Virtual Reality momentan allerdings noch nicht für viele Menschen sein, so Kuhlendahl weiter, dazu sei die Technologie einfach noch nicht verbreitet genug. „Aber es wird kommen“, prophezeite er. Der Journalist und Autor Dirk von Gehlen sprach auf dem Podium über ein sehr gegenwärtiges Projekt, das zunächst gar nicht nach online klingt: Er möchte einen Heimatverein für das Internet ins Leben rufen. „Ich möchte eine Lobbyorganisation für Menschen gründen, die im Internet zu Hause sind“, erläuterte er die Hintergründe, und dies auch, um wie klassische Interessenvertretungen in Gremien wirken zu können. Im Verlauf der Diskussion betonte er immer wieder die positiven Aspekte des Internets, das für ihn „ein Beweis dafür ist, dass wir menschheitsgeschichtlich einen Schritt über Rassismus und Nationalismus hinaus sind“. Lukas Bothur von „Reconquista Internet“ ist in dieser Hinsicht nicht ganz so euphorisch, setzten diese sich doch gegen Hass und Hetze im Netz ein. „Wir sind nicht gegen etwas“, berichtete er, „wir sind für Liebe und Vernunft und für einen besseren Diskurs“. Manchmal, wenn man in der falschen Ecke des Netzes lande, so erzählte sein Mitstreiter, helfe aber nur noch, den Rechner zuzuklappen und rauszugehen, „dann merkt man, dass alles nicht so schlimm ist“. Eine Sichtweise, gegen die sich Dirk von Gehlen verwahrte: „Bitte lasst uns aufhören, immer über das Internet als den schlimmen Ort zu reden. Es ist ein Spiegel der Gesellschaft“, relativierte er und wünschte sich, dass wir alle das Internet als einen Ort sehen könnten, an dem der andere recht haben könnte.
Auch das Publikum wurde nach seiner Sicht auf die „Heimat“ befragt – und war nach der Diskussion orientierungsloser als zuvor: „Anstrengend“ oder „tbd“ waren die Anmerkungen, die über das „Mentimeter“ eingingen, wo zu Beginn des Tages noch so klare Definitionen zu lesen waren wie: „Heimat ist, wo sich das Smartphone automatisch mit dem W-LAN verbindet.“ Ein Beweis dafür, dass das Grimme-Institut mit dem Thema seines diesjährigen Social Community Day einen Nerv getroffen und den Denkprozess erst angestoßen hat.
Die beiden Panels des Vormittags wurden moderiert vom Leiter der redaktionellen Digitalstrategie der Rheinischen Post, Daniel Fiene.
Am Nachmittag werden drei der Themen und Methoden in Workshops vertieft, so bei „Crowdfunding“ mit Lisa Altmeier und Steffi Fetz / Crowdspondent, bei „Podcasting für Anfänger: von der Idee zur Umsetzung“ mit Frank Joung / Halbe Katoffl Podcast und bei „Instagram Stories“ mit Verena Lammert & Clare Devlin / Mädelsabende.
Im Ausstellungsbereich des SCD konnten sich die Gäste über das neue docupy-Projekt „#Heimatland“ und über die aktuellen Beiträge zum Thema von piqd informieren.
Live-Eindrücke finden sich in den sozialen Medien:
Facebook: www.facebook.com/socialcommunityday
Twitter/Instagram: @grimme_institut
Und unter www.social-community-day.de erscheint eine umfassende Dokumentation, die von Studenten und Studentinnen der Deutsche Welle Akademie erstellt wird.
Der Social Community Day findet seit 2010 in Köln statt und wird vom Grimme-Institut veranstaltet. Er wird unterstützt von der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen.